
Nachhaltig
Das grosse Dilemma
Digitalisierung
Digitalisierung und Nachhaltigkeit werden oft als zwei Megatrends bezeichnet, die Wirtschaft und Gesellschaft prägen. Die beiden Phänomene sind jedoch sehr unterschiedlich:
Die Digitalisierung verändert die Realität massiv und beeinflusst fast jeden Aspekt unseres Lebens, während Nachhaltigkeit ein normatives Ziel ist, das in den meisten Bereichen noch nicht Realität geworden ist.
Übersetzt von: Maike Gossen and Otmar Lell. Sustainable consumption in the digital age. A plea for a systemic policy approach to turn risks into opportunities. GAIA 32/S1 (2023): 71 – 76
Der Schulterschluss von digitalem Fortschritt und kapitalistischer Ideologie in einer durchmonetarisierten Gesellschaft führt offensichtlich zu einer Konzentration von Macht bei einigen wenigen, meist privaten, Akteuren.
Jonas Lüscher, Schriftsteller - Interview Tages-Anzeiger, 06.01.2018
Wir werden mit «digital by default» enden, wenn wir uns nicht für «digital by design» entscheiden. Wir sollten Technologie nicht durch die Brille von Big Tech betrachten, wo die Rolle von Algorithmen darin besteht, Menschen zu ersetzen.
Wir sollten damit beginnen, die Ergebnisse zu bewerten, die wir mit Hilfe der Technologie erreichen wollen, wie z.B. die Verringerung des CO2 - Ausstosses und die Verbesserung der Rentabilität der Arbeit.
Übersetzt von: Mark Carney. Buch: Value(s) - Building a Better World for All. 2021.

© Moor Studio | Shutterstock, Inc. [US] 2023
Im Grossen wirken Digitalisierungsprozesse heute eher als «Brandbeschleuniger» bestehender, nicht nachhaltiger Trends, also der Übernutzung natürlicher Ressourcen und wachsender sozialer Ungleichheit in vielen Ländern.
Auf der einen Seite muss nüchtern festgestellt werden, dass die Digitalisierung von Wirtschaft und Alltag sich bislang nur marginal an Nachhaltigkeitsaspekten orientiert.
Auf der anderen Seite offeriert die Digitalisierung ein ungeheures Spektrum an Möglichkeiten zur Unterstützung der Transformation zur Nachhaltigkeit.
WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung - Globale Umweltveränderungen. 2019. Unsere gemeinsame digitale Zukunft. PDF
Die drei Hauptziele der ökologischen Nachhaltigkeit sind CO2 - Reduktion, Ressourcenreduktion sowie Renaturierung. Zumindest in der Theorie kann das Wachstum digitaler Anwendungen mit den Zielen der ökologischen Nachhaltigkeit vereinbar sein. Doch die heutige Realität ist von diesem Ideal weit entfernt.
Der Energie- und Materialverbrauch steigt mit zunehmender Digitalisierung sogar an. An dieser Situation wird sich nichts ändern, wenn die Mehrheit der betroffenen Unternehmen die drei ökologischen Ziele nicht als verbindliche Grundsätze übernimmt.
Übersetzt von: Ortwin Renn, et al. The opportunities and risks of digitalisation for sustainable development: a systemic perspective. GAIA 30/1(2021): 23-28
Der Energieverbrauch der digitalen Infrastruktur nimmt zu, weil die Intensität der Nutzung schneller wächst als die Effizienz. Zwar sind Mikrochips in den letzten fünf Jahrzehnten um einen Faktor von mindestens einer Milliarde energieeffizienter geworden.
Das heisst, für eine Kilowattstunde Strom kann man heute eine Milliarde mal mehr rechnen als vor fünfzig Jahren. Es gibt kein anderes technisches Gebiet, in dem die Energieeffizienz derart rasant zunimmt. Aber die Nutzung wächst noch schneller, darum nimmt der Verbrauch insgesamt eben doch kräftig zu.
Mathias Plüss. Interview mit Prof. Lorenz Hilty. Fussabdruck der Digitalisierung. Newsletter Planet Plüss. Tages-Anzeiger. 02.06.2024

© FAArt PhotoDesign | Shutterstock, [US] 2025
Die Beziehung zwischen Digitalisierung und ökologischer Nachhaltigkeit ist zwiespältig. Im Grossen und Ganzen hat die Digitalisierung, die wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, keines der drängenden Umweltprobleme unserer Zeit gelöst: Trotz innovativer kleinerer Initiativen ist festzustellen, dass in keinem der Schlüsselsektoren - Verkehr, Energie, Landwirtschaft, Wohnen, Konsumgüter - die Einführung digitaler Werkzeuge bisher einen Wandel hin zu nachhaltigen Alternativen bewirkt hat.
Übersetzt von: T. Santarius etal. Digitalization and Sustainability: A Call for a Digital Green Deal. Environment Science and Policy 147 (2023) 11-14
Der Bericht «AI for a planet under pressure» wirft eine kritische Frage auf:
Kann künstliche Intelligenz (KI) sowohl verantwortungsbewusst als auch effektiv eingesetzt werden, um komplexe und miteinander verknüpfte Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit anzugehen?
Zu diesen Herausforderungen zählen der Klimawandel, der Verlust der biologischen Vielfalt, die Versauerung der Ozeane und andere Veränderungen unseres Planeten.
Zusammenfassend wird festgehalten:
(1) KI bietet ein enormes Potenzial, um den Fortschritt in den Nachhaltigkeitswissenschaften zu beschleunigen.
(2) KI kann unsere Entscheidungsfindung schärfen und komplexe Umweltprobleme für Forscher und die Öffentlichkeit gleichermaßen klarstellen.
(3) Um dieses Versprechen einzulösen, müssen jedoch die Risiken sorgfältig abgewogen werden, darunter der ökologische Fußabdruck der KI selbst, inhärente Verzerrungen und die Herausforderung des ungleichen Zugangs.
(4) Trotz dieser Hürden ist der verantwortungsvolle und ethische Einsatz von KI in der Nachhaltigkeitsforschung nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine dringende Notwendigkeit.
(5) Pionierarbeit in diesen Bereichen kann zu den Durchbrüchen führen, die wir für den Aufbau einer nachhaltigeren Zukunft benötigen.
Übersetzt von: Galaz, V. and M. Schewenius. AI for a planet under pressure. Stockholm Resilience Centre, Potsdam Institute for Climate Impact Research, Google DeepMind. November 2025
Tatsächlich werden wir künstliche Intelligenz (KI) für eine lebenswerte Welt benötigen. Denn um Überflutungen vorherzusehen, Dürren besser handhaben zu können, das Schmelzen der Gletscher nachvollziehen zu können oder die Landwirtschaft an die veränderten Begebenheiten anzupassen, wird es ohne IT und KI nicht gehen.
Die grossen Durchbrüche liegen nicht darin, dass ChatGPT einen Aufsatz schreiben kann, sondern dass KI die personalisierte Medizin verbessern kann oder als Technologie dazu führt, Massnahmen gegen den Klimawandel ergreifen zu können. Deswegen ist es nötig, die künstliche Intelligenz nachhaltig zu gestalten.
Wir haben verschiedene Stufen der Industralisierung: die Mechanisierung, die Elektrifizierung, die Computerisierung, und jetzt befinden wir uns in der Digitaliserung. Die 5. Stufe ist die Ökologisierung und Personalisierung unserer Systeme - und zu dieser Industrie 5.0 müssen wir rasch kommen.
Ohne eine Wirtschaftstransformation wird es nicht gehen. Wir werden vom Effizienz- zum Suffizienzsgedanken kommen und uns fragen, was und wieviel digitalisiert werden muss, um ein balanciertes Leben für die Menschen auszubauen.
Ivona Brandić, Professorin für High Performance Computing Systems an der Technischen Universität Wien. Warum KI beimThema Nachhaltigkeit nachsitzen muss. Profil 25. März 2025
