Nachhaltig leben

Was können wir tun?

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Inhalt

1. Kehrtwenden


Anstatt weiterhin über abstrakte Ziele zu reden, muss Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sich daran messen, welche konkreten Massnahmen sie zur Eindämmung des Klimawandels und des Biodiversitätsverlusts und zum Schutz von uns Menschen jetzt unternimmt.

Wenn klimatische und ökologische Kipppunkte überschritten werden, werden die Auswirkungen über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende zu spüren sein.

Fünf ausserordentliche Kehrtwenden sind notwendig, um die Risiken substanziell zu reduzieren:

1. Beendigung der Armut
2. Beseitigung der eklatanten Ungleichheit
3. Ermächtigung (Empowerment) der Frauen
4. Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems
5. Übergang zum Einsatz sauberer Energie

Die ausserordentlichen Kehrtwenden werden disruptiv sein. Daran führt kein Weg vorbei. Sie werden mit anderen disruptiven Entwicklungen zusammenwirken, zum Beispiel mit der nächsten Phase exponentieller technologischer Durchbrüche.

Sie sind kein Versuch, eine unmöglich realisierbare Utopie zu schaffen. Sie bilden die unverzichtbare Grundlage für eine resilientere Zivilisation, die aktuell unter ausserordentlichem Druck steht. Mehr noch: Es sind genügend Wissen, Geld und Technologie vorhanden, um diese Kehrtwenden zu realisieren.
Dixson-Declève,S. et.al. 2022. Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht des Club of Rome, 50 Jahre nach «die Grenzen des Wachstums».

2. Bausteine


© Billion Photos | Shutterstock, Inc. [US] 2023

Die Bausteine für eine nachhaltige Entwicklung sind zur Hauptsache folgende Neuausrichtungen, die alle eng miteinander verknüpft sind: 
Quelle: Uwe Schneidewind, Wirtschaftswissenschafter. Die Grosse Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. 2018

  • Wohlstands- und Konsumwende
    Die Frage ist, wie Suffizienz - eine «Kultur des Genug» - möglich ist und wie die Ausbildung einer solchen Kultur mit Rahmenbedingen von der Politik unterstützt werden kann.
  • Energiewende
    Das Ziel der Energiewende ist nur dann zu erreichen, wenn die Umstellung auf erneuerbare Energie zusammengeht mit einer Energiesuffizienz und einer Energieeffizienz. 
  • Ressourcenwende
    Nur wenn der Ressourcenverbrauch pro Kopf um den Faktor 4 bis 5 reduziert wird, bleibt die Menschheit langfristig innerhalb der planetaren Grenzen.
  • Mobilitätswende
    Die Mobilitätswende ist eng mit der Energiewende und der Ressourcenwende verknüpft und braucht damit mehr als nur technologische Entwicklungen.
  • Ernährungswende
    Die heutige Nahrungsmittelproduktion ist für einen wichtigen Anteil der globalen Ressourcen- und CO2 - Belastungen verantwortlich. 30 % der konsumbedingten Umweltbelastungen in Europa werden durch unser Essverhalten verursacht. 
    Der Konsum von Fleisch und Fisch muss markant reduziert werden.
  • Urbane Wende 
    Mitte dieses Jahrhunderts werden rund 80 % aller Menschen weltweit in Städten leben. Für die nachhaltige Entwicklung insgesamt ist die Art und Weise der Stadtentwicklung deshalb von zentraler Bedeutung.
  • Industrielle Wende
    Zwei Ziele sind hier vorrangig: Die Decarbonisierung [CO2 - Ausstoss stoppen] und die Kreislaufwirtschaft. Dazu braucht es technologische Innovation, Kooperation und eine innovative politische Rahmensetzung.

3. Massnahmen


CO2 - Ausstoss stoppen

© Ranglen | Shutterstock, Inc. [US] 2018

Eine erfolgreiche Klimapolitik gelingt nur dann, wenn die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an den Klimawandel jetzt gleichzeitig und rasch erfolgen.

Der Klimawandel sollte allen ein Anliegen sein, die sich um die Gesundheit kümmern, die sich um wirtschaftliche Stabilität und Investitionswerte sorgen und denen die Gerechtigkeit zwischen den Generationen am Herzen liegt - und das sollte jeder von uns sein. 
Übersetzt von: Christiana Figueres and Tom Rivett-Carnac. 2020. The Future We Choose - Surviving the Climate Crisis.

Die vergangenen Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und gleichzeitig steigen die weltweiten Treibhausgasen-Emissionen weiter an. 

Die Begrenzung der globalen Erderwärmung erfordert eine rapide Dekarbonisierung der Weltwirtschaft.
 

Wirtschaft nachhaltig ausrichten

© Quick Shot | Shutterstock, Inc. [US] 2018    

Es mag eine komplexe und gigantische Aufgabe sein, die Menschheit in diesem Jahrhundert in einen sicheren Handlungsraum zurückzubringen, aber wie viele andere komplexe und gigantische Unternehmungen kann sie durch einige gut gewählte Hebel und engagierte Menschen angegangen werden.

Die Hebel sind da, vor unseren Augen, sie warten nur darauf, betätigt zu werden. Und sie befinden sich letztlich alle in einem einzigen Sektor: der Wirtschaft.

Die wichtigsten sind:

1. Einrichtung von Bürgerfonds, um den Reichtum der globalen Gemeingüter an alle Bürger*innen gerecht zu verteilen.

2. Staatliche Massnahmen (Subventionen, Anreize und Vorschriften) zur Beschleunigung der Umstrukturierung.

3. Umgestaltung des internationalen Finanzsystems zur Erleichterung der raschen Armutsbekämpfung in vielen Teilen der Welt.

4. Minderung von Investitionsrisiken in einkommendsschwachen Ländern und Schuldenerlasse.

5. Investition in effiziente, regenerative Nahrungsmittelsysteme und Systeme der erneuerbaren Energie.

Dixson-Declève S. et.al. 2022. Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht des Club of Rome, 50 Jahre nach «die Grenzen des Wachstums».

Die Abkehr von der überwiegend linearen Wirtschaft hin zu einer konsequenten Kreislaufwirtschaft ist zudem das Gebot der Stunde.

Überkonsum zurückfahren 

© Dariusz Jarzabek, © puhhha and © Jenny Sturm | Shutterstock, Inc. [US] 2018 

Immer mehr Menschen in den reichen Ländern realisieren, wie unverantwortlich und egoistisch wir uns verhalten und welch grosse, unbezahlte Rechnung wir unseren Kindern und Enkelkindern hinterlassen.  

Der Verschleiss der Natur durch die konsumorientierte Lebensweise ist zu gross und gefährdet unsere Lebensgrundlage. Wir müssen unseren Lebensstil überdenken und den masslosen Konsum zurückfahren. 

Mächtige Statussymbole bestimmen seit je unser Konsumverhalten und haben grosse Auswirkungen auf Umwelt und Klima.

Grosses Auto
Früher waren es die Prunk-Kutschen von wenigen, dann der Rolls-Royce von einigen, der Chevrolet von vielen und heute die immer grösseren Autos von fast allen Leuten. 

Seit 1980 hat sich das durchschnittliche Gewicht eines Autos verdoppelt.

Grosser Konsum von Fleisch
Zuerst waren es die Gelage in den Palästen von wenigen  - vor 200 Jahren hatten in Europa über 90 % aller Menschen in der Regel kein Fleisch zum Essen - dann das Fleischessen in Restaurants von vielen und heute das tägliche Fleischessen von fast allen Leuten. 

Die Produktion von Fleisch und Milchprodukten beansprucht bereits über 70 Prozent des globalen Agrarlands, obwohl damit nur 18 Prozent des Kalorienbedarfs der Menschheit gedeckt werden.
Quelle: Poore et al. Reducing food's environmental impacts through producers and consumers. Science 360, 987-992 (2018)

© Thomas Soellner | Shutterstock, Inc. [US] 2018

Grosser Wohnraum
Früher waren es die Prunk-Schlösser von wenigen, dann die grossen Villen von einigen, das Eigenheim von vielen und heute die grossen Wohnungen von fast allen Leuten.

In der Schweiz z.B. beansprucht jeder Einwohner im Durchschnitt eine Wohnfläche von 42 Quadratmeter - doppelt so viel wie noch 1965. 

Das bedeutet ein grosser Ressourcenverbrauch beim Bau des Wohnraums, eine grosse Zunahme an Energieverbrauch beim Heizen und ein grosser Folgekonsum wie dem Kauf von Möbeln und vielen zusätzlichen Wohnungseinrichtungen. 

Bauen steht weltweit für ein Drittel der CO₂-Emissionen, für 40 Prozent des Endenergiebedarfs und 50 Prozent des Materialverbrauchs.
Interview von Christine Mattauch mit Lamia Messari-Becker. Ökologisches Wohnen darf kein Eliteprojekt bleiben. Süddeutsche Zeitung. 23. April 2022.

Saubere Technologie anwenden 

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Veraltete, umweltschädliche und ineffiziente Produktionen müssen rasch mit neuen Technologien ersetzt werden.

Wir unterliegen aber einem grossen Trugschluss, wenn wir denken, mit zunehmender technologischer Effizienzsteigerung unseren gewohnten Lebensstil unverändert weiterführen zu können. 

Denn die grossen Auswirkungen auf unsere Umwelt durch unseren überbordenden Konsum und das rasante Bevölkerungswachstum können nur teilweise mit technologischen Verbesserungen kompensiert werden. 

Es dürfen zudem umweltschädliche Aktivitäten nicht mehr länger mit dem Argument der Arbeitsplatzerhaltung am Leben erhalten bleiben. 

Digitalisierung auf eine nachhaltige Entwicklung ausrichten

© Mopic | Shutterstock, Inc. [US] 2018

Es fehlen bisher - bildlich gesprochen - ein Algorithmus zum Wohl von uns Menschen und ein Algorithmus zum Schutz der Natur.

Die drei Hauptziele der ökologischen Nachhaltigkeit sind CO2- und Ressourcen-Reduktion sowie Renaturierung.

Zumindest in der Theorie kann das Wachstum digitaler Anwendungen mit den Zielen der ökologischen Nachhaltigkeit vereinbar sein. Doch die heutige Realität ist von diesem Ideal weit entfernt.

Der Energie- und Materialverbrauch steigt mit zunehmender Digitalisierung sogar an. An dieser Situation wird sich nichts ändern, wenn die Mehrheit der betroffenen Unternehmen die drei ökologischen Ziele nicht als verbindliche Grundsätze übernimmt.
Übersetzt von: Ortwin Renn, et al. The opportunities and risks of digitalisation for sustainable development: a systemic perspective. GAIA 30/1(2021): 23-28

Die enormen Gestaltungsmöglichkeiten der Digitalisierung als prägende Kraft des 21. Jahrhunderts müssen in den Dienst einer nachhaltigen Entwicklung als drängendste Gestaltungsaufgabe des 21. Jahrhunderts gestellt werden.
Wuppertal Institut (2021): Digitalisierung gestalten - Transformation zur Nachhaltigkeit ermöglichen: Studie im Rahmen des Projekts «Shaping the Digital Transformation».

Nahrungssystem neu ausrichten

© Pavel K | Shutterstock, Inc. [US] 2020 © Peter Hermes Furian | Shutterstock, Inc. [US] 2018     

Nur wenn sich unser Umgang mit Land grundlegend ändert, können die Klimaschutzziele erreicht, der dramatische Verlust der biologischen Vielfalt abgewendet und das globale Ernährungssystem nachhaltig gestaltet werden.
WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. 2020. Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration.

Es gilt also:

  • Ernährungsweise ändern
    Die globale Ernährung muss auf mehr pflanzliche Ernährung umgestellt werden.
  • Land für die biologische Vielfalt reservieren
    Mehr Land muss geschützt und für die Natur reserviert werden. Dies ist der effektivste Weg, um die biologische Vielfalt zu erhalten.
  • Art und Weise wie wir Land bewirtschaften ändern
    Die Landwirtschaft muss naturfreundlicher und biodiversitätsfördernder ausgerichtet werden.
    Gemäss: Tim G. Benton, etal. Food system impacts on biodiversity loss. Three levers for food system transformation in support of nature. 2021.


Bildungssystem neu ausrichten

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Ein grosser Teil unserer heutigen Probleme ist auf das reduktionistische und linear - kausale Denken des 19. Jahrhunderts zurückzuführen, dem zufolge die Welt eine Maschine ist, die in ihre Einzelteile zerlegt und verstanden werden kann.

Die Revision des Bildungssystems sollte sich auf zwei Grundpfeiler stützen: Kritisches Denken und komplexes Systemdenken. Denn die bedeutendste Herausforderung unserer Tage ist nicht der Klimawandel, der Verlust an Biodiversität oder Pandemien. Das bedeutendste Problem ist unsere kollektive Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden.

Die meisten Systeme der realen Welt, seien es die Weltmeere, das Klima, die Verstädterung oder die Aktienmärkte, sind komplex und dynamisch. Ein Bildungssystem, das diese fundamentalen Eigenschaften bis zum Eintritt in die Universität weitgehend ignoriert, ist obsolet.
Dixson-Declève S. et.al. 2022. Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht des Club of Rome, 50 Jahre nach «die Grenzen des Wachstums».

4. Wie dringend ist es?


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Wir müssen rasch handeln, dabei aber einen kühlen Kopf bewahren. Wir brauchen eine besonnene Politik ohne Untergangsszenarien, ohne Ideologien und ohne Einzelinteressen. 

Es eilt sehr. Ein Systemkollaps ist eine reale Gefahr. [..] Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen bedingt durch das rasante Bevölkerungswachstum, die Übernutzung der Ressourcen und die damit einhergehende Verschmutzung, den Verlust der Biodiversität, und insgesamt erleben wir einen schleichenden Verlust der Lebensgrundlagen.
Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman - Wir sind dran - Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt. 2017

Der Bericht Grenzen des Wachstums an den Club of Rome befasste sich bereits 1972 mit der Zukunft der Weltwirtschaft und äusserte damals die düstere Prognose, wonach  

die absolute Wachstumsgrenze auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht wird, wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält.  

© Kai19 | Shutterstock, Inc. [US] 2018 

Die Zeit drängt

Jetzt braucht es den «Druck» auf Politik und Entscheidungsträger von unten - von uns Bürgerinnen und Bürgern - für grundlegende Veränderungen zum Schutz von uns Menschen vor den Auswirkungen der Klimakrise und des Biodiversitätsverlusts. 

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