Nachhaltig
Kapazitätsgrenzen der Erde
Transformation heisst, dass wir bestimmen, was wir erhalten und wovon wir uns trennen wollen...
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Planetare Grenzen
© studiostoks | Shutterstock, Inc. [US] 2023
Die menschliche Entwicklung hat eine Ära zusammenhängender Krisen eingeläutet: Klimawandel, Umweltzerstörung, Krankheiten, Umweltverschmutzung und sozioökonomische Ungleichheit. [...]
Angetrieben durch Imperialismus, ausbeuterischen Kapitalismus und eine wachsende Bevölkerung überschreiten wir die materiellen Grenzen der Erde, zerstören kritische Ökosysteme und lösen irreversible Veränderungen in biophysikalischen Systemen aus, die die klimatische Stabilität des Holozäns*) gewährleisten und die menschliche Zivilisation begünstigt haben.
Es muss ein entscheidender Paradigmenwechsel stattfinden, der den ausbeuterischen, wohlstandsorientierten Kapitalismus durch ein Wirtschaftsmodell ersetzt, das Nachhaltigkeit, Widerstandsfähigkeit und Gerechtigkeit in den Vordergrund stellt.
Übersetzt von Charles Fletcher etal. Earth at risk: An urgent call to end the age of destruction and forge a just and sustainable future. PNAS Nexus, Volume 3, Is sue 4, April 2024, page106
*) Das Holozän ist ein Abschnitt der Erdgeschichte, der etwa vor 12.000 Jahren begann und bis heute andauert. Die globalen Temperaturschwankungen betrugen in diesem Zeitraum durchschnittlich nur etwa 1° C.
Bei der Luftverschmutzung, der biologischen Vielfalt, beim Ausmass des Klimawandels und anderen Bereichen hat unser Planet Grenzen der Belastbarkeit. Grenzen, die eingehalten werden müssen, damit die Lebensgrundlagen für den Menschen gewahrt bleiben.
Planetare Grenzen: Neun Leitplanken für die Zukunft
Helmholtz Klima Initiative
Sechs von neun planetaren Belastungsgrenzen haben wir bereits überschritten.
1 Zustand der Biosphäre
2 Klimawandel
3 Landnutzung
4 Stoffkreisläufe
5 Neue Stoffe
6 Süsswasser
7 Ozeanversauerung
8 Ozonschicht
9 Luftverschmutzung
Quelle: Katherine Richardson etal. Earth beyond six of nine planetary boundaries. Science Advances. 2023 Vol 9, Issue 37
So haben wir Menschen z.B. die Atmosphäre bereits global um rund 1,5°C erwärmt und steuern derzeit darauf zu, diverse unumkehrbare Kipppunkte im Klimasystem zu überschreiten.
Die globalen Wildtierpopulationen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Reptilien und Amphibien haben sich seit 1970 um durchschnittlich 69 % reduziert.
Quelle: Living Planet Report 2022 - Building a naturepositive society. Almond, R.E.A., Grooten, M., Juffe Bignoli, D. & Petersen, T. (Eds). WWF, Gland, Switzerland.
Lebensgrundlage
© Arthimedes | Shutterstock, Inc. [US] 2018
Seit mehr als 6.000 Jahren hat die Menschheit gelernt, innerhalb einer relativ engen Bandbreite von Umwelt- und Klimaschwankungen zu leben. Die durchschnittliche Jahrestemperatur lag in diesem Zeitraum bei etwa 13º C.
Der durch den Klimawandel bedingte rasche Temperaturanstieg in Verbindung mit dem Bevölkerungswachstum bedeutet, dass in den nächsten 50 Jahren etwa 30 % der prognostizierten Weltbevölkerung an Orten mit einer Durchschnittstemperatur von über 29 °C leben könnten.
Weniger als 1 % der Landoberfläche der Erde - hauptsächlich in den heissesten Teilen der Sahara - ist derzeit von diesem Klima betroffen. Doch bis 2070 könnte fast ein Fünftel der Landfläche der Erde diese Temperaturen erreichen.
Übersetzt von Chi Xu etal. 2020. Future of the human climate niche. PNAS Vol. 117 | No. 21.
Wasser
© Ulrich Brunner 2023. Hintergrundbild © Aleks14 | Shutterstock, Inc. [US] 2023
Gemäss einer neuen Studie wird geschätzt, dass weltweit über vier Milliarden Menschen keine angemessene Trinkwasserversorgung haben. Das ist mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.
Zur Beurteilung einer sicheren resp. nicht
angemessenen Trinkwasserversorgung wurden die Daten zu folgenden drei
Hauptkriterien ausgewertet:
Zugänglichkeit - Wie lange müssen Menschen gehen, um Wasser zu holen?
Qualität - Wie verschmutzt ist das Trinkwasser?
Verfügbarkeit - Gibt es eine Wassernot in der Region?
Es ist ein herber Rückschlag für die weltweite
Kampagne der UNO, die 2015 die Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung
verabschiedete. Darin wurde festgehalten, dass jeder Mensch bis 2030 Zugang zu
einwandfreiem Trinkwasser haben soll.
Quelle: Esther
E. Greenwood etal. Mapping safe drinking water use in low- and middle-income
countries. Science 15. Aug 2024. Vol 385, Issue 6710 pp. 784 - 790
Land
© Ulrich Brunner 2023. Hintergrundbild © Arpitcoolboy | Shutterstock, Inc. [US] 2023
Quelle: UN - World Prospects: The 2015 Revision
Zwischen 2015 und 2019 wurden jedes Jahr mindestens 100 Millionen Hektar gesundes und produktives Land durch Übernutzung und Umnutzung zerstört, was die weltweite Nahrungsmittel- und Wassersicherheit beeinträchtigt. Der Verlust entspricht der doppelten Grösse Grönlands.
Quelle: United Nations.The Sustainable Development Goals Report 2023.
Insgesamt
verloren die Tropen im Jahr 2023 3,7 Millionen Hektar Primärwald*), eine Rate,
die hartnäckig mit den Vorjahren übereinstimmt und die Welt immer noch weit von
dem globalen Ziel entfernt, die Entwaldung bis 2030 zu beenden. Rund 25 % von
diesem Verlust war feuerbedingt.
Quelle: "Tropical Forest Loss Drops Steeply in Brazil and Colombia, but High Rates
Persist Overall." Global Forest Review, updated April 4, 2024. World Resources Institute.
*) Primärwälder
gehören zu den dichtesten, wildesten und ökologisch bedeutendsten Wäldern der
Erde.
In 2022, 2.4 billion people, comprising relatively more women and people living in rural areas, did not have access to nutritious, safe and sufficient food all year round.
Quelle: FAO, IFAD, UNICEF, WFP and WHO. 2023. The State of Food Security and Nutrition in the World 2023. Urbanization, agrifood systems transformation and healthy diets across the rural–urban continuum. Rome, FAO. https://doi.org/10.4060/cc3017en
Nutztiere
© Peter Hermes Furian | Shutterstock, Inc. [US] 2018
Von allen Säuger-Lebewesen auf der Erde sind 60 % Nutztiere und 36 % Menschen, nur 4 % sind wilde Säugetiere.
Quelle: Yinon M. Bar-On etal. 2018. The biomass distribution on Earth. PNAS Vol. 115 | No. 25
Die Produktion von Fleisch und Milchprodukten beansprucht bereits 70 - 80 Prozent des globalen Agrarlands*), obwohl damit nur 18 Prozent des Kalorienbedarfs und 37 Prozent des Proteinbedarfs der Menschheit gedeckt werden.
Quelle: Poore et al., Reducing food's environmental impacts through producers and consumers. Science 360, 987-992 (2018)
*) Anbau von Tierfutter und Weideland für Tiere
Der Bericht Die Grenzen des Wachstums von 1972 befasste sich mit der Zukunft der Weltwirtschaft und äusserte damals die düstere Prognose, wonach die absolute Wachstumsgrenze auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht wird, wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält.
Mit der Veröffentlichung zu den Grenzen des Wachstums wurde ein wesentlicher Beitrag zur Nachhaltigkeits- und Zukunftsforschung geleistet. Der Report war in zweifacher Hinsicht ein Meilenstein, auf der einen Seite für die Zukunftsforschung durch die ersten computergestützten Extrapolationen in eine weiter entfernte Zukunft, sowie auf der anderen Seite für die Nachhaltigkeitsforschung, um die Tragweite des ökologischen Raubbaus wissenschaftlich zu fundieren.
Quelle: Eine nachhaltige Zukunft? postwachstum.de/eine-nachhaltige-zukunft-2024.01.23
Transformation
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Transformation heisst, dass wir bestimmen, was wir erhalten und bewahren - und gleichzeitig, wovon wir uns trennen wollen.
Stefan Brunnhuber. 2023. Die Kunst der Transformation – Wie wir uns anpassen und die Welt verändern.
Der grosse gesellschaftliche Wandel, wie es der Übergang hin zu einer nachhaltigen Entwicklung erfordert, ist zuerst ein «Kampf» um die Herzen und Köpfe der Menschen und erst danach wird er in Gesetzgebung und Wirtschaftspolitik akzeptiert.
Übersetzt von World in 2050 Initiative. 2018. Transformations to achieve the sustainable development goals.
Dass wir im nächsten Jahrzehnt vor massiven Umbrüchen stehen, lässt sich nicht leugnen. Ohne Sicherheitsnetz werden sich die Menschen dagegenstemmen, eher Populisten wählen und eine Transformation ablehnen, die in ihren Augen nur ein weiterer Versuch der Elite ist, sich die Taschen zu füllen.
Dixson-Declève S. et.al. 2022. Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht des Club of Rome, 50 Jahre nach «die Grenzen des Wachstums».
Die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Entwicklung wird unweigerlich mit einem Strukturwandel verbunden sein, der Gewinner und zumindest übergangsweise auch Verlierer kennt.
Insofern gilt es neben der Wirksamkeit und Effizienz umweltpolitischer Massnahmen auch die damit verbundenen Verteilungseffekte zu berücksichtigen. Fragen der Gerechtigkeit sind damit als dritter zentraler Massstab für umweltpolitische Maßnahmen ernst zu nehmen, um deren Legitimität und Zustimmung zu sichern.
Konrad Adenauer Stiftung Nr. 310/August 2018: Verantwortliche Umweltpolitik - ökologisch wirksam und sozial gerecht.
© Ulrich Brunner 2024. Hintergrundbilder © Aleutie + © Anson0618 | Shutterstock, Inc. [US] 2019/2024
- Juni 2015 - Päpstliche Enzyklika Laudato Sì
Papst Franziskus verkündet seine Sicht der Welt. Im Zentrum steht die Verwundbarkeit der Schöpfung. - September 2015 - Agenda 2030 der UNO
169 Staaten unterzeichnen 17 Nachhaltigkeitsziele, die der Weltpolitik die Richtung für eine nachhaltige Entwicklung geben sollen. - Dezember 2015 - Klimaschutzabkommen von Paris
196 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention der UNO vereinbaren das Ziel, die menschengemachte globale Erwärmung auf deutlich unter 2°C gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen.
Definition Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.
Brundtland-Bericht - Our Common Future, Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, 1987
Nachhaltigkeit [Ökologie] ist ein Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann.
Duden
Nachhaltigkeit bedeutet - auf eine prägnante Formel gebracht - gutes Leben für rund zehn Milliarden Menschen innerhalb der ökologischen Grenzen auf unserem Planeten.
Uwe Schneidewind. Die Grosse Transformation - Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. 2018
Nachhaltigkeit ist ein Leitkonzept, um humane Lebensbedingungen für alle Menschen weltweit heute und in Zukunft sicherzustellen und zu fördern sowie dazu beizutragen, dass die dafür notwendigen natürlichen Lebensgrundlagen wiederhergestellt und erhalten werden.
Mark Lawrence. 2023. Wie lebe ich nachhaltig? RIFS Research Institute for Sustainability Potsdam.
So einfach diese Definitionen auch lauten, so schwer ist es, ein einheitliches, gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit zu erlangen.
Nachhaltigkeit ist in aller Munde, sowohl in Politik, Wirtschaft und im Privaten. Jeder kann sich unter dem Begriff etwas vorstellen und setzt dabei andere Schwerpunkte. Der Begriff läuft somit Gefahr, «Alles und Nichts» zu bedeuten.
Agentur für Forschung. 2019. Wahrnehmung von "Nachhaltigkeit" - Bericht zur qualitativen Studie. Mannheim, 05. September 2019
Ohne ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit ist aber die Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft kaum zu bewältigen.
Die Nachhaltigkeitsziele sollen der Weltpolitik die Richtung für eine nachhaltige Entwicklung geben. Das heisst, dass alle Staaten aufgefordert sind, die drängenden Herausforderungen der Welt gemeinsam zu lösen.
Die Agenda 2030 ist keine Gebrauchsanweisung, wie die 17 Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können. Vielmehr ist sie ein Kompass.
Die Menschen sollen bis 2030 - überall auf der Welt - über einschlägige Informationen und das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung verfügen.
Überblick und Erläuterung der 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung
Der Weltklimarat [IPCC] und der Weltbiodiversitätsrat [IPBES] sind sich unabhängig voneinander darin einig, dass es sowohl aus dem Blickwinkel des Klimas als auch der Biodiversität eine tiefgreifende und umfassende gesellschaftliche Transformation braucht, um den Verlust der biologischen Vielfalt und die globale Erwärmung aufzuhalten.
Dieser Wandel hat eine nachhaltige Entwicklung zum Ziel und betrifft alle Sektoren, darunter die Energiewirtschaft [Abkehr von fossilen Brennstoffen zugunsten von erneuerbaren Energien], die Landnutzung [vor allem eine umweltfreundlichere landwirtschaftliche Produktion] und die Forstwirtschaft [Schutz und nachhaltige Nutzung der Wälder].
Forum Biodiversität Schweiz. Akademie der Naturwissenschaften. Hotspot 43/2021
Änderungen des Pro-Kopf-Verbrauchs, eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten und Fortschritte bei der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen, einschließlich der Reduzierung von Nachernte-Abfällen, könnten einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Biodiversitätskrise, zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an den Klimawandel leisten.
Übersetzt von IPBES-IPCC co-sponsored workshop report on biodiversity and climate change. 2021
Nicht zuletzt hat unsere ressourcenintensive Lebensweise mit ihrem immensen Ausstoss von Treibhausgasen, der Vernichtung natürlicher Lebensräume und der zunehmenden Verschmutzung an Land und im Meer zu einer planetarischen Krise geführt. Sie bedroht die Lebensgrundlagen auf der Erde und damit die Gesundheit aller Menschen.
Weil die zunehmenden Umwelt- und Gesundheitsprobleme vielfach gemeinsame Wurzeln haben, können Synergien bei den Lösungsansätzen gefunden werden. Wir stehen an einem Scheidepunkt.
Gesellschaft, Wirtschaft und Politik müssen Verantwortung übernehmen und eine umfassende Transformation in die Wege leiten, die zu einem gesunden menschlichen Leben auf einem gesunden Planeten führt.
Planetare Gesundheit: Worüber wir jetzt reden müssen. WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. 2021
Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zeigt einen neuen Weg des Gleichgewichts für die Menschheit und den Planeten auf. Die 17 Ziele sind eng miteinander verflochten.
Neuere Studien zu den Wechselwirkungen zwischen den Nachhaltigkeitszielen haben den Erhalt der Biodiversität als einen der stärksten Hebel zur Erreichung von Nachhaltigkeit identifiziert.
Akademie der Naturwissenschaften Schweiz. Mit Biodiversität die SDGs erreichen. 2021
Der Fortschrittsbericht [2023 = Halbzeit] zeigt, dass nur 12 Prozent der Ziele für nachhaltige Entwicklung auf dem richtigen Weg sind. Die Fortschritte bei 50 Prozent sind schwach und unzureichend.
Am schlimmsten ist jedoch, dass wir bei mehr als 30 Prozent der Nachhaltigkeitsziele ins Stocken geraten sind oder den Rückwärtsgang eingelegt haben.
Übersetzt von António Guterres. Secretary-General's remarks to launch the Special Edition of the Sustainable Development Goals Progress Report. 25 April 2023